Philosophieren mit Kindern – Was ist das?
Kinder haben viele Fragen, weil vieles in der Welt noch neu für sie ist, weil sie erst damit beginnen, sich die Welt denkend anzueignen. Kindern fehlt noch jenes Wissen, mit dem Erwachsene die Welt erklären zu können meinen, das scheinbar Selbstverständliche ist für sie noch fragwürdig, rätselhaft und staunenswert.
Aus diesem Grund stellen sie oft Fragen, die nicht nur nach Erklärungen für das Funktionieren von Dingen oder nach Begründungen verlangen (Wieso? Weshalb? Warum?), sondern abzielen auf Sinn, Zweck und Bedeutung des Ganzen und auf das Wesen der Welt und ihrer Erscheinungen. Es sind Fragen, die Ausdruck jenes Erstaunens über die Welt sind, mit dem nach den alten Griechen das Philosophieren als Nachdenken über Mensch und Welt beginnt.
Der Umgang mit solchen Kinderfragen löst bei Erwachsenen häufig Unsicherheit und Ratlosigkeit aus. Wer die Erde und den Menschen erschaffen hat – eine häufig von Kindern gestellte Frage – lässt sich weder mit Verweis auf Urknall und Evolutionstheorie, noch den göttlichen Schöpfungsakt einfach beantworten. Philosophieren mit Kindern als pädagogische Grundhaltung bedeutet, den Fragen nicht auszuweichen, sondern sie Ernst zu nehmen als Ausdruck des Bemühens, Sinn und Bedeutung in dieser Welt herzustellen.
Philosophieren mit Kindern als pädagogische Grundhaltung
Beim Philosophieren geht es um Grundprobleme des menschlichen Daseins, um die Frage, woher wir kommen, wohin wir gehen, wer wir eigentlich sind. Es geht um das Verhältnis von Mensch, Natur und Technik, auch um die Frage, wie wir leben wollen und was gut und ‚richtig’ im Leben ist.
Um sich mit Kindern auf nachdenkliche Gespräche einzulassen, mit ihnen über Mensch und Welt zu philosophieren, bedarf es ganz elementar der Bereitschaft, sie als gleichwertige Gesprächspartner anzuerkennen und sich selbst auf das Offene, Unbekannte und Ungewisse, das hier zum Gesprächsgegenstand wird, einzulassen. Anstatt selbst nach Antworten zu suchen, die es nicht gibt, gilt es, der eigenständigen kindlichen Denktätigkeit Raum und Zeit zu bieten und eigene Deutungen und Erklärungsversuche zu ermutigen: Was meinst du dazu? Was stellst du dir vor? Hast du eine Erklärung? sind angemessene Rückfragen, die das Selbstdenken und die Entfaltung der eigenen Vorstellungskraft anregen.
Ob im Dialog zwischen Kind und Erwachsenem oder im Gespräch in einer Kindergruppe – es geht nicht darum, eine abschließende Antwort zu finden oder ein Problem zu lösen. Wichtiger ist es, das Offene und Ungelöste einer Frage, das gerade keine fertigen und schnellen Antworten zulässt, zum Anlass des Gedankenaustausches zu machen. Es geht um die gemeinsame Suche nach möglichen Antworten, um die bedächtige und nachdenkliche Annäherung an ein Problem, den Verzicht auf rasche Lösungen zugunsten einer Kultur der Nachdenklichkeit.
Philosophische Gespräche sind ergebnisoffen, es gibt nicht die eine richtige oder wahre Antwort. Beim Philosophieren mit Kindern ist es besonders wichtig, die scheinbare Überlegenheit als Erwachsener gegenüber dem Kind aufzugeben. Es bedeutet, sich nicht als Wissender, sondern auch selbst als ein nach Antworten Suchender zu offenbaren.
An dieser Stelle sei der Philosoph Gareth B. Matthews, einer der Urheber des Philosophierens mit Kindern, zitiert. Matthews hat sich mit der Frage auseinander gesetzt, welche Voraussetzungen man eigentlich als Lehrerin, Erzieherin, Mutter oder Großvater haben muss, wenn man mit Kindern philosophieren will, und er hat dazu viel Ermutigendes zu sagen. Aus seinen folgenden Überlegungen wird deutlich, in welchem Sinne Matthews das Philosophieren mit Kindern als eine pädagogische Grundhaltung versteht:
„Will man mit Kindern erfolgreich philosophieren, muss man jede Art von Verteidigungshaltung aufgeben. Es ist mir peinlich, wenn ich meinem Kind nicht sage kann, wie man „Tonsillektomie“ buchstabiert oder Celsiusgrade in Fahrenheitgrade umwandelt. Aber das Eingeständnis, nicht auf Anhieb eine Analyse des Konzepts „Lügen“ geben oder eine gute, weiterführende Antwort auf die Frage „Wo befinden sich die Träume?“ geben zu können, sollte mir nicht peinlich sein. Stattdessen sollte ich mir einfach von dem Kind helfen lassen und versuchen, gemeinsam mit ihm eine befriedigende Antwort zu erarbeiten.
Die Kombination von Stärken und Schwächen, die ein Erwachsener in die philosophische Begegnung mit einem Kind einbringt, enthält die Chance einer ganz besonderen Beziehung. Der Erwachsene beherrscht die Sprache besser als das Kind und, zumindest latent, auch die sprachgebundenen Begriffe sicherer. Dafür hat das Kind einen ungetrübten Blick und eine erstaunliche Hellhörigkeit für Perplexität und Inkongruenz. Außerdem besitzen Kinder typischerweise einen Grad von Redlichkeit und Spontaneität, den ein Erwachsener kaum erreichen kann. Weil beide Seiten etwas Wichtiges einzubringen haben, kann die Untersuchung leicht zu einem wahrhaften „joint venture“ werden, etwas, das bei sonstigen Begegnungen zwischen Erwachsene und Kindern ziemlich selten ist.“
(Gareth B. Matthews: Denkproben. Philosophische Ideen jüngerer Kinder. Berlin 1991, 107ff.):